Teil 3:

Nachhaltigkeitsinformationen effektiv kommunizieren

Technische Integration von Siegelinformationen im Online-Handel

Siegel, Symbole, Filter oder farbliche Hervorhebungen: Es gibt verschiedene Ansätze, um Verbraucher:innen im Online-Handel über die Nachhaltigkeit von Produkten zu informieren und sie dabei zu unterstützen, nachhaltige Produkte zu finden und zu vergleichen, um so mehr nachhaltige Käufe zu motivieren. Dabei ist es für Online-Händler oftmals ein schmaler Grat, einerseits komplexe Informationen adressatengerecht aufzubereiten und zu visualisieren, und andererseits generische Werbeaussagen zu vermeiden und den rechtlichen Vorgaben nachzukommen. Verbraucher:innen hingegen sind damit konfrontiert, dass umweltbezogene Werbeaussagen und Siegel für sie oftmals keine verlässliche Orientierung bieten und sie die Flut an verfügbaren Nachhaltigkeitsinformationen schlichtweg überfordert. Unterschiedliche Erhebungen zeigen in diesem Zusammenhang, dass verbraucherseitig ein klares Bedürfnis nach Vereinfachung und verlässlicher Orientierung besteht, um sich inmitten von unzuverlässigen Werbeaussagen und Kennzeichnungen (Greenwashing) und der Vielzahl an Nachhaltigkeitsinformationen (Informationsflut) zurechtzufinden.

Dieses Kapitel beleuchtet unterschiedlichen Möglichkeiten, wie Nachhaltigkeitsinformationen aufbereitet und visualisiert werden können und beleuchtet die Wirksamkeit und Umsetzung aus wissenschaftlicher Sicht.

Aufbau des Abschnitts

Drei Gründe für bessere Nachhaltigkeitskommunikation

Nachhaltigkeit als Thema in der Kommunikation ist omnipräsent, aber dadurch oft kein Alleinstellungsmerkmal mehr für Unternehmen. Konsument:innen sind angesichts der Flut an unterschiedlich verlässlichen Nachhaltigkeitsinformationen zunehmend skeptisch. Wirklich glaubwürdige Kommunikation von Nachhaltigkeitsinformationen ist für Online-Händler mit teils großen Aufwänden verbunden: bei der Beschaffung verlässlicher Daten, bei ihrer Bewertung sowie bei der Visualisierung und der technischen Einbindung in die Webseite. Dennoch ist die glaubwürdige Kommunikation von Nachhaltigkeitsinformationen wichtig und zukunftsweisend. Diese guten Gründe sprechen dafür:

  • Erstens kann die transparente und glaubwürdige Kommunikation von Nachhaltigkeitsinformationen Vertrauen bei Verbraucher:innen und Stakeholdern schaffen, die Verbundenheit zu einem Online-Shop erhöhen und so mittelbar die Umsätze steigern.
  • Zweitens steigen aus Sicht von Unternehmen sowohl die rechtlichen Vorgaben zur Offenlegung von Nachhaltigkeitsbemühungen als auch die Nachfrage von Verbraucher:innen nach Händlern, die sich um ein nachhaltiges Sortiment bemühen.
  • Drittens können gut dargestellte Nachhaltigkeitsinformationen dazu beitragen, dass Verbraucher:innen besser über die Nachhaltigkeitseigenschaften eines Produktes informiert sind, die Produkte dahingehend einfacher vergleichen können und sogar motiviert sind, nachhaltiger zu kaufen. Auf diese Weise kann das gesamtgesellschaftliche Ziel einer nachhaltigen Entwicklung unterstützt werden.

Welche (digitalen) Ansätze der Nachhaltigkeitskommunikation sind effektiv?

Wie eine effektive Kommunikation von Nachhaltigkeitsinformationen im Online-Handel gelingen kann, um nachhaltige Kaufentscheidungen zu fördern, wurde bereits in vielen wissenschaftlichen Studien untersucht. Die möglichen Ansätze reichen von der Verwendung von Nachhaltigkeitskennzeichnungen, wie etwa Siegeln oder Scores, über die leicht erfassbare Visualisierung von Nachhaltigkeitsinformationen in Form von Symbolen, Filtermöglichkeiten oder Feedback zu Umweltauswirkungen, bis hin zur Einbindung von sozialen Vergleichen oder der prominenten Produktplatzierung im jeweiligen Online-Shop. Die Tabelle am Ende des Kapitels (Link) gibt einen umfassenden Überblick über die wissenschaftlich untersuchten Ansätze und fasst die Erkenntnisse zu ihrer Wirkung komprimiert zusammen.

Mehrstufige und farblich codierte Nachhaltigkeitsbewertungen für Produkte, wie etwa die Energieeffizienzkennzeichnung, werden immer häufiger eingesetzt. Sie informieren über den Grad der Nachhaltigkeit eines Produktes und regen damit nachhaltigere Käufe an. Auch Produktempfehlungen werden im (Online-)Handel inzwischen standardmäßig verwendet, um die Aufmerksamkeit auf bestimmte Alternativen zu lenken. Vor diesem Hintergrund sind wir im Projekt der Frage nachgegangen, ob ein Nachhaltigkeits-Score für Textilien und die Empfehlung nachhaltiger Alternativen die Entscheidung für nachhaltige Kleidungsstücke fördern können. Außerdem war unsere Frage, ob diese Ansätze mehr Menschen zu einem nachhaltigen Kauf bewegen als ein einfacher Green Claim – also eine Umweltaussage ohne weiteren Beleg. Daraus lässt sich schließen, welches Irreführungspotenzial Green Claims haben. Zuletzt wollten wir mehr über die Wirkung dieser Kommunikationsansätze auf die Informiertheit von Verbraucher:innen und die wahrgenommene Glaubwürdigkeit der Nachhaltigkeitsinformationen erfahren. Zu diesem Zweck wurde im August 2023 ein repräsentatives Online-Experiment mit 2.024 Personen durchgeführt. Die Datenerhebung für das Online-Experiment wurde vom 15. – 22. August 2023 vom Marktforschungsinstitut INNOFACT durchgeführt. Die teilnehmenden Personen wurden repräsentativ für die deutsche Online-Shopping-Bevölkerung ab 16 Jahren rekrutiert.

Die erste Kaufsituation in dem simulierten Online-Shop
des Experiments sah wie folgt aus:

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Welche Wirkung hatte der Textil-Score?

  • Durch die Kennzeichnung von T-Shirts mit einem Textil-Score und zusätzlich einer klickbaren Legende mit mehr Informationen stieg die Kaufabsicht für nachhaltige am stärksten. 71 % der Befragten in dieser Gruppe entschieden sich für ein nachhaltiges Produkt. Es klickten zwar eher wenige Personen auf die Legende, doch wenn sie das taten, so entschieden sich fast alle (87 %) für das nachhaltige Produkt.
  • Durch die Kennzeichnung mit einem Textil-Score (ohne Legende) oder einem Textil-Score mit EU-Logo stieg die Kaufabsicht ebenfalls, aber etwas weniger stark. Hier entschieden sich je knapp 68 % für das nachhaltige Produkt.
  • Auch die Kennzeichnung mit einem Green Claim („Nachhaltig“) motivierte immerhin 60 % der Personen zu einem nachhaltigen Kauf.
  • Nachhaltigkeitsaffine Personen entschieden sich öfter für ein nachhaltiges Produkt. Dabei spielte es keine Rolle, welcher Kommunikationsansatz genutzt wurde. Preissensiblen Personen kauften insgesamt bei allen Kommunikationsansätzen weniger häufig ein nachhaltiges Produkt. Trendaffine Personen entschieden sich ebenfalls seltener für ein nachhaltiges Produkt. Jedoch kann besonders der Textil-Score mit Legende die trendaffinen Personen eher zu einem nachhaltigen Kauf motivieren.
  • Nachhaltigkeitsinformationen, die mit einem Textil-Score mit Legende kommuniziert wurden, wurden von den Befragten als am glaubwürdigsten eingeschätzt.
  • Ein Textil-Score führte hingegen nicht dazu, dass Personen sich besser informiert fühlten. Befragte gaben an, genauso gut erkennen zu können, ob es sich um ein nachhaltiges Produkt handelt, wenn es mit einem Green Claim ausgelobt (51 %) oder ein Textil-Score mit Legende (50 %) verwendet wurde. Nur wenig schlechter schnitt der Textil-Score ohne Legende (46 %) oder mit EU-Logo (45 %) ab.
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Was sind Implikationen für die Praxis?

Eine mehrstufige Kennzeichnung in Form eines Textil-Scores mit Legende motiviert Menschen gleich welcher Zielgruppe erfolgreich dazu, häufiger nachhaltige Produkte zu wählen. Auch vage Produktversprechen wie die Kennzeichnung „nachhaltig“, haben ein großes Potenzial, Verbraucher:innen zu einer nachhaltigen Kaufentscheidung zu bewegen. Durch den Textil-Score fühlen sich Konsument:innen genauso gut informiert wie durch einen Green Claim, jedoch wird der Score als deutlich glaubwürdiger wahrgenommen.

Zukünftig sollten vage Behauptungen nur noch kommuniziert werden, wenn diese auch belegbar sind. Ansonsten besteht das Potenzial, dass auch vermeintlich nachhaltige Produkte von Konsument:innen häufiger gekauft werden.

Die zweite Kaufsituation im simulierten Online-Shop sah wie folgt aus:

Die zweite Kaufsituation in dem simulierten Online-Shop
des Experiments sah wie folgt aus:

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Welche Wirkung hatten Empfehlungen für (nachhaltige) Alternativen?

  • Insgesamt haben Produktempfehlungen einen konstant starken Effekt auf Kaufentscheidungen, unabhängig davon, mit welcher Farbe sie hervorgehoben sind oder ob sie weiterführende Produktinformationen (in unserem Beispiel Siegel) enthalten. So entschieden sich durchgängig deutlich mehr Personen für einen empfohlenen Pullover als für den, den sie ursprünglich ausgewählt hatten.
  • Am effektivsten waren Produktempfehlungen kombiniert mit Umweltsiegeln, wenn die Empfehlungen als belegt nachhaltig sowie grün hinterlegt waren. Diese konnten 82 % der Befragten zur Wahl eines nachhaltigen Produkts motivieren. Die meisten entschieden sich für ein Produkt mit Fairtrade-Siegel (35 %), gefolgt vom Blauen Engel (25 %), Oeko-Tex (21 %) und GOTS (19 %)
  • Nur der Hinweis auf nachhaltige Alternativen mit farblicher Hervorhebung wirkte weniger stark. Empfehlungen mit grüner Hervorhebung und Hinweis auf nachhaltige Alternativen motivierte 72 % der Befragten zum Wechsel.
  • Bei nachhaltigkeitsaffinen Personen wirken Produktempfehlungen kombiniert mit Umweltsiegeln besonders stark. Bei preissensiblen Personen wirken die verschiedenen Produktempfehlungen alle gleich stark.
  • Empfehlungen mit Umweltsiegeln werden als deutlich glaubwürdiger wahrgenommen als Empfehlungen mit farblicher Hervorhebung. Auch fühlten sich Befragte besser informiert, wenn die Empfehlungen Umweltsiegel enthielten (im Vergleich zu einer Empfehlung mit rein farblicher Kennzeichnung).
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Was sind Implikationen für die Praxis?

Produktempfehlungen sind effektiv, sie werden von Konsument:innen wahrgenommen, angesehen und motivieren in den meisten Fällen zum Wechsel zu einer (nachhaltigen) Alternative. Die Gefahr bei der Anwendung von Produktempfehlungen in der Praxis besteht darin, dass Konsument:innen die empfohlenen Artikel womöglich zusätzlich zu ihrer ursprünglichen Wahl bestellen. Dies birgt die Gefahr von Mehrkonsum – ein Phänomen, das in der Konsumforschung als Diderot-Effekt beschrieben wird. Demnach kaufen Konsument:innen weitere Dinge, die zu einem ursprünglich gewählten Produkt passen, um ein konsistentes Gesamtbild zu erzeugen. Um dies im Sinne eines nachhaltigen Konsums zu vermeiden, müssen Wege gefunden werden, wie Produktempfehlungen als tatsächlicher Ersatz zur ursprünglichen Wahl und nicht als Erweiterungen dieser verstanden werden.

Welche (technischen) Möglichkeiten gibt es zur Umsetzung?

Die Ergebnisse des Experiments zeigen, dass ein mehrstufiger Textil-Score effektiv wäre, um Menschen zu nachhaltigeren Kaufentscheidungen zu motivieren. Allerdings ist eine Anwendung nicht trivial. Aktuell existieren einzelne Nachhaltigkeits-Scores von verschiedenen Initiativen speziell für den Textilsektor – zum Beispiel: Know the Chain, Fashion Transparency Index, Ethical Fashion Report und Corporate Human Rights Benchmark. Solche Scores beziehen sich auf unterschiedliche Aspekte der Nachhaltigkeit und sind für Verbraucher:innen aufgrund ihrer hohen Komplexität schwer zu verstehen und einzuordnen. Zudem finden die existierenden Scores in der Praxis derzeit nur selten Anwendung, weil sie die hohen Standards der Nachweisbarkeit, die Online-Händler einhalten müssen, (noch) nicht erfüllen. In Zukunft sollten die politischen Bestrebungen dahin gerichtet werden, einen einzelnen umfassenden Textil-Score zu entwickeln, der die notwendige Nachweisbarkeit aufweist, um in der Praxis genutzt werden zu können. Dies ist jedoch aus unterschiedlichen Gründen herausfordernd. Neben Aspekten der ökologischen Nachhaltigkeit gibt es im Bereich Textilien auch eine Reihe sozialer Dimensionen, die unbedingt in einen solchen Score einfließen müssten. Zudem fehlt es an einer validen Datengrundlage, sowohl auf Marken- als auch auf Produktebene sowie einer sinnvollen Methodik zur Gewichtung der einzelnen Nachhaltigkeitsdimensionen bei der Berechnung des Scores.

Die Ergebnisse des Experiments haben auch gezeigt, dass die Empfehlung nachhaltiger Alternativen gezielt eingesetzt werden können, um die Aufmerksamkeit von Konsument:innen zu lenken und die Kaufwahrscheinlichkeit – auch von nachhaltigen Produkten – zu erhöhen.

Technisch lassen sich Produktempfehlungen durch sogenannte Recommender Systems (RS) generieren, also Algorithmen, die basierend auf Daten Empfehlungen vorschlagen. Empfehlungssysteme werden häufig in zwei Weisen umgesetzt: Als Collaborative Filtering und als Content-based Filtering:

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  • Collaborative Filtering: Die erste Möglichkeit ist die kundenbasierte Empfehlung. Dabei werden Kund:innen Artikel vorgeschlagen, die von Personen mit ähnlichen Interessen gekauft wurden. Gemessen wird dies an Indikatoren wie der Dauer der Produktansicht und dem Inhalt des Warenkorbs. Bezogen auf Nachhaltigkeit bedeutet Collaborative Filtering, dass sich Kund:innen mit Interesse an nachhaltigen Produkten ähnlich sind und ihnen weitere nachhaltige Produkte empfohlen werden. Da ein aktives Interesse an Nachhaltigkeit Grundvoraussetzung ist, um diese Art von Empfehlungen auszuspielen, besteht bei dieser Empfehlungsart die Problematik, dass nicht-nachhaltigkeitsinteressierten Kund:innen nie nachhaltige Produktalternativen vorgeschlagen werden. Kapitel 2 zeigt jedoch, dass sich durchaus viele Menschen für soziale Nachhaltigkeit interessieren und diese Themen sogar einen größeren Einfluss auf die Kaufentscheidung haben als umweltbezogene Nachhaltigkeitskriterien. Eine Möglichkeit für die Anwendung von Collaborative Filtering wäre daher, die erfassten Nachhaltigkeitsdimensionen weiter in Richtung sozialer Dimensionen aufzuschlüsseln und beispielsweise Themen wie Kinderarbeit oder faire Löhne explizit zu nennen. Auf diese Weise können unterschiedliche Nachhaltigkeitsschwerpunkte von Verbraucher:innen berücksichtigt werden um darauf basierend Empfehlungen zu personalisieren.
  • Content-based Filtering: Die zweite Möglichkeit ist die produktbasierte Empfehlung. Diese berücksichtigt Produktmerkmale, ohne auf Daten anderer Nutzer:innen zurückzugreifen. Mit diesem Ansatz können nachhaltige Alternativen zu einem konventionellen Produkt vorgeschlagen werden, die sich in anderen Merkmalen wie Preis oder Farbe kaum unterscheiden. Vorschläge können so auch genutzt werden, um nicht-nachhaltigkeitsinteressierte Kund:innen dazu anzustoßen, eine nachhaltigere Entscheidung zu treffen.

Download:
Implementierungskonzept: Einsatz von Recommender Systems zur Förderung eines nachhaltigen Online-Konsums

Tutorial: Implementierungskonzept für Recommender Systems

Herausforderungen der Unternehmen bei der Umsetzung effektiver Nachhaltigkeitskommunikation

Auch wenn viel theoretisches Wissen darüber vorliegt, welche Kommunikationsansätze einen nachhaltigeren Konsum im Online-Handel begünstigen können und technisch gesehen vieles möglich ist, wird in der Praxis oft nicht die volle Bandbreite der verfügbaren Kommunikationsansätze genutzt. Laut Aussagen verschiedener Unternehmen ist dies aus unterschiedlichen unternehmensstrategischen und rechtlichen Gründen der Fall. Die Gewinnmaximierung beziehungsweise der Verkauf von margenträchtigen Artikeln ist nach wie vor Grundlage der meisten Geschäftsmodelle, sodass der Verkauf von nachhaltigen Alternativen oder sogar ein insgesamt reduzierter Konsum nicht im Vordergrund stehen. Auch wollen (Online-)Händler ihren Kund:innen ein unbeschwertes Kauferlebnis bewahren und scheuen sich davor, (zu viele) Nachhaltigkeitsinformationen zu platzieren, die möglicherweise Widerstand oder Scham auslösen könnten. Zudem sind neue EU-rechtliche Rahmenbedingungen zu erwarten, deren Einhaltung und Umsetzung viele Fragen für die Unternehmen aufwerfen (siehe Infobox). Dies hat derzeit noch zur Folge, dass Unternehmen tendenziell weniger als mehr kommunizieren, um mögliche, zukünftige Rechtsverstöße zu vermeiden.

Greenwashing vs. Green Marketing: Was zeichnet verlässliche (und zukünftig rechtskonforme) umweltbezogene Aussagen aus?

Seit März 2023 liegt ein Vorschlag für die Green Claims-Richtlinie der Europäischen Kommission für die Verwendung von umweltbezogenen Aussagen vor. Gemäß dem Vorschlag sollen Unternehmen verpflichtet werden, Umweltangaben und -kennzeichnungen anhand klarer Kriterien nachzuweisen.1

Als Greenwashing können umweltbezogene Werbeaussagen bezeichnet werden, wenn sie eine „grüne“ oder „nachhaltige“ Herstellung von Produkten oder Dienstleistungen oder ein besonderes Umweltengagement der Unternehmen suggerieren, ohne dass entsprechende Aktivitäten im operativen Geschäft tatsächlich systematisch umgesetzt werden.2 230 Labels werden derzeit EU-weit verwendet und lediglich die Hälfte davon ist ausreichend verifiziert. Über die Hälfte (53%) aller Green Claims auf Produkten oder Dienstleistungen ist vage, irreführend oder unzureichend belegt. Etwa 40% lassen sogar jeglichen Nachweis vermissen.3 Vor diesem Hintergrund wird klar, warum Verbraucher:innen Green Claims derzeit nur wenig vertrauen. Darüber hinaus sind die verwendeten Formulierungen für Verbraucher:innen oftmals missverständlich. So sind sich beispielsweise nur zehn Prozent der deutschen Verbraucher:innen im Klaren darüber, dass der Begriff „Klimaneutralität“ mit CO2-Kompensationsprogrammen zusammenhängt. Ein Großteil denkt fälschlicherweise, dass bei Produkten mit diesem Claim weniger Treibhausgase in der Produktion anfielen.4

Abgrenzen lassen sich generische und möglicherweise irreführende Green Claims von legitimen Praktiken des Green Marketing. Hierfür lassen sich die sechs Prinzipien für akzeptables Green Marketing anführen, die von der Britischen Competition and Markets Authority (CMA) aufgestellt wurden. Diese fordern, dass akzeptable Green Claims wahr, eindeutig und begründet sein müssen, keine relevanten Informationen verschleiern dürfen sowie auf fairen Vergleichen beruhen und die gesamte Produktlebensdauer einbeziehen sollen.5 Die Green Claims-Richtlinie der EU-Kommission soll Werbetreibende in Zukunft dazu verpflichten, Umweltvorteile konkret zu belegen und mit einer wissenschaftlich fundierten Methode nachzuweisen. In Zukunft soll dies durch eine unabhängige, offiziell akkreditierte Stelle verifiziert und zertifiziert werden.6

1 Europäische Kommission(2023). Proposal for a DIRECTIVE OF THE EUROPEAN PARLIAMENT AND OF THE COUNCIL on substantiation and communication of explicit environmental claims (Green Claims Directive). Abgerufen von: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=COM%3A2023%3A0166%3AFIN (19.09.2023)

2 Definition von Greenwashing angelehnt an Umweltbundesamt (2022). Greenwashing und Sustainable Finance. Abgerufen von: https://www.umweltbundesamt.de/greenwashing-sustainable-finance#undefined (19.09.2023)

3 Europäische Kommission, Directorate General for Environment (2023). Circular economy: new criteria to enable sustainable choices and protect consumers and companies from greenwashing, Publications Office of the European Union. Abgerufen von: https://data.europa.eu/doi/10.2779/826535 (19.09.2023)

4 Zühlsdorf, A., Kühl, S., Radda, D. & Spiller, A. (2023): Grüne Marketingclaims auf Lebensmitteln: Verbraucherstudie zum Verständnis von umwelt- und klimabezogenen Werbeaussagen. Abgerufen von https://www.vzbv.de/sites/default/files/2023-03/23-02-22_vzbv_Positionspapier%20Green%20Claims.pdf (19.09.2023)

5 Competition and Markets Authority (2023). CMA guidance on environmental claims on goods and services: Helping businesses comply with their consumer protection law obligations. Abgerufen von: https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/1018820/
Guidance_for_businesses_on_making_environmental_claims_.pdf
(19.09.2023)

6 Europäische Kommission (2023). Proposal for a DIRECTIVE OF THE EUROPEAN PARLIAMENT AND OF THE COUNCIL on substantiation and communication of explicit environmental claims (Green Claims Directive). Abgerufen von: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=COM%3A2023%3A0166%3AFIN (19.09.2023)

Weiterentwicklung der Nachhaltigkeitskommunikation

Zusammenfassend zeigt dieses Kapitel, dass viel theoretisches Wissen darüber vorliegt, wie Nachhaltigkeitsinformationen so visualisiert und eingesetzt werden können, dass nachhaltige Kaufentscheidungen wahrscheinlicher werden. Auch gibt es eindeutige Hinweise dafür, welche guten Alternativen es zu vagen oder unzureichend belegten Green Claims gibt und wie Informationen aufbereitet werden müssen, damit sie glaubwürdig sind. Zwei gute Ansätze – wenngleich nicht die einzigen – sind (1) mehrstufige Kennzeichnungen mit einer Legende zur Bewertungsmethodik und (2) Empfehlungen nachhaltiger Produkte mit Umweltsiegeln. Dass dieses Wissen jedoch praktisch bislang nur wenig Anwendung findet, hat unternehmensstrategische, rechtliche, aber auch pragmatische Gründe. Damit langfristig umweltverträgliche Produktions- und Konsummuster zum Standard werden, bedarf es einer orchestrierten Zusammenarbeit verschiedener Akteure und einer klaren Entwicklungsperspektive für Nachhaltigkeitskommunikation. Drei Punkte sind dabei von besonderer Bedeutung:

  • Für Unternehmen ist die Voraussetzung für ernstgemeinte Nachhaltigkeitskommunikation, dass sie in ihrer Unternehmensstrategie das Ziel verankern, nachhaltige Käufe zu fördern. Auf diese Weise kann verhindert werden, dass die Interessen von Produkt- und Nachhaltigkeitsmanagement konträr zueinanderstehen.
  • Zweitens sollte der Austausch mit europäischen Initiativen zur Entwicklung von mehrstufigen Produktkennzeichnungen gefördert werden. Hier sind vor allem politische Akteure gefragt, aber auch Verbände, Forschungsorganisationen und Unternehmen können eine Rolle spielen. In diesem Prozess sollte eine Einigung über offene Fragen hinsichtlich der Schaffung einer validen Datengrundlage und der Bewertungsmethode erzielt werden. Derzeit besteht noch kein Konsens über die inhaltlich zu bewertenden Dimensionen und deren Gewichtung sowie die visuelle Darstellung – ob also eine Gesamtbewertung oder einzelne Dimensionen dargestellt werden.
  • Drittens sollte die Politik einen verbindlichen Rechtsrahmen schaffen, um irreführende oder kleinteilige Umweltaussagen zu unterbinden und Ambitionen für mehrstufige Kennzeichnungen zu integrieren.

Übersicht über Ansätze der Nachhaltigkeitskommunikation und ihre Wirkung

– Die empirische Evidenz zur Effektivität des Ansatzes in Bezug auf nachhaltigkeitsorientierte Einstellungen und Kaufabsichten fällt positiv aus.

– Die empirische Evidenz zur Effektivität des Ansatzes fällt gemischt aus.

– Die empirische Evidenz zur Effektivität des Ansatzes fällt negativ aus.

Nachhalitgkeitskennzeichnungen und Produktinformationen
Kommunikationsansatz Beschreibung Zusammenfassende Bewertung der Wirkung des Ansatzes Wissenschaftliche Forschungskenntnisse zur Wirkung des Ansatzes
ColumnnenasColu 1 Value Siegel Verdichtung von produktbezogenen Nachhaltigkeitsinformationen basierend auf Zertifizierungen in einem Symbol und Farbcodes • Prinzipiell bieten Siegel Verbraucher:innen (zuverlässige) Informationen auf einen Blick.

• Verbraucher:innen sind angesichts der Vielzahl unterschiedlicher Siegel jedoch teilweise verwirrt und empfinden diese als nicht hilfreich.

• Die Effektivität von Siegeln konnte durch einen Fokus auf Verständlichkeit, visuelle Hervorhebungen sowie durch zusätzliche, detailliertere Angaben erhöht werden.

• Die transparente Angabe von Gründen für die Zertifizierung steigerte zusätzlich das Vertrauen und die positive Einstellung gegenüber den Produkten.

Nachhaltigkeits-Scores Mehrstufige Kennzeichnungen, die die komplexen Nachhaltigkeitsinformationen eines Produktes vereinfachen und auf einer (farblichen) Skala oder in Form eines Scores einordnen • Die Verwendung von Farben zur einfacheren Einordnung konnte die positive Wirkung verstärken.

• Verbraucher:innen entschieden sich nicht nur öfter für nachhaltigere Alternativen, sondern auch seltener für Produkte, die mit einer roten und damit schlechten Bewertung gekennzeichnet waren.

Negative Kennzeichnung Hervorhebung von Produkten mit umweltschädlichen Eigenschaften • Die negative Kennzeichnung von umweltschädlichen Produkten konnte die positive Einstellung zu und die Akzeptanz von nachhaltigen Produkten sowie die Zahlungsbereitschaft für diese stark erhöhen.
Vereinfachte Informationen Kennzeichnung nachhaltiger Produkte mithilfe von generischen Produktbannern (z. B. „nachhaltig”) oder Symbolen zu den einzelnen Umwelteigenschaften • Generische Produktbanner wirkten sich signifikant positiv auf nachhaltiges Kaufverhalten aus, besonders bei weniger nachhaltigkeitsinteressierten Konsument:innen.

• Gleichzeitig bergen sie das Risiko, wenig verlässlich und ggf. nicht rechtskonform zu sein.

Transparente Informationen zur Umweltwirkung Transparente und detaillierte Kommunikation von Nachhaltigkeitsinformationen zur Produktionsweise oder zur Lieferkette • Die Kommunikation der detaillierten Informationen hat nachweislich einen positiven Effekt auf nachhaltige Konsumentscheidungen.
Feedback zur individuellen Umweltwirkung Vermittlung von (Echtzeit-)Feedback bspw. zum individuellen Kaufbudget oder dem CO2- Fußabdruck des Warenkorbs • Es konnte gezeigt werden, dass Echtzeit-Informationen zum individuellen Budget dazu führen, dass insgesamt weniger gekauft wird.

• Die zeitgleiche Kommunikation von CO2-Zielen und Echtzeit-Feedback zum individuellen CO2-Fußabdruck konnten den CO2-Fußabdruck des Warenkorbs reduzieren.

• Andere Studien fanden keinen belegbaren Zusammenhang.

 

Soziale Informationsreize
Kommunikationsansatz Beschreibung Zusammenfassende Bewertung der Wirkung des Ansatzes Wissenschaftliche Forschungskenntnisse zur Wirkung des Ansatzes
ColumnValue
Soziale Normen Voreinstellungen für nachhaltige Produkte, die als Standard vorgeschlagen, vorausgewählt oder priorisiert angezeigt werden • Starke Formulierungen deskriptiver Normen (“was die meisten anderen tun”) können einen positiven Effekt auf die Kaufentscheidung für zertifiziert nachhaltige Lebensmittel haben.

• Injunktive Normen (“was andere erwarten”) oder Rang- Informationen (“Sie gehören zu den ungesündesten 10 %”) zeigten eine etwas schwächere positive Wirkung.

• Die Kommunikation allgemeiner oder generischer Verhaltensnormen erwies sich als weitgehend unwirksam.

• Andere Studien haben keine Zusammenhänge zwischen der Kommunikation von sozialen Normen und nachhaltigen Kaufentscheidungen feststellen können.

Produktbewertungen Prominente Platzierung von nachhaltigen Alternativen weit oben oder mittig in einem Online-Shop • Produktbewertungen anderer Kund:innen konnten nachhaltiges Kaufverhalten sowohl im Online-Handel als auch im stationären Handel signifikant positiv beeinflussen.

• Auch Bewertungen zu nachhaltigen Produkten auf Social Media-Plattformen beeinflussten die Kaufintention positiv.

 

Produktanordnung
Kommunikationsansatz Beschreibung Zusammenfassende Bewertung der Wirkung des Ansatzes Wissenschaftliche Forschungskenntnisse zur Wirkung des Ansatzes
ColumnValue

Defaults Voreinstellungen für nachhaltige Produkte, die als Standard vorgeschlagen, vorausgewählt oder priorisiert angezeigt werden • Nachhaltige Defaults in Online-Shops waren dann besonders effektiv, wenn Verbraucher:innen ohnehin eine Präferenz für nachhaltige Produkte hatten.
Platzierung Prominente Platzierung von nachhaltigen Alternativen weit oben oder mittig in einem Online-Shop • In manchen Studien führte die prominente (mittige) Platzierung nachhaltiger Alternativen zu einer höheren Wahlwahrscheinlichkeit. In anderen wiederum zeigte sich kein Effekt.

 

Hinweisreize
Kommunikationsansatz Beschreibung Zusammenfassende Bewertung der Wirkung des Ansatzes Wissenschaftliche Forschungskenntnisse zur Wirkung des Ansatzes
ColumnValue

Produktempfehlungen Vorschlagen von nachhaltigen Produktalternativen • Produktempfehlungen wirkten wie Aufmerksamkeitsfilter und erhöhten die Wahlwahrscheinlichkeit nachhaltiger Alternativen.

• Die Kaufwahrscheinlichkeit nachhaltiger Alternativen konnte zusätzlich erhöht werden, wenn die Empfehlung gemeinsam mit einem Nachhaltigkeitsscore angezeigt wurde.

Priming/Erinnerung Verwendung eines auffälligen Hinweises (Priming) oder einer Erinnerung, um auf nachhaltige Alternativen oder Verhaltensweisen aufmerksam zu machen • Die Exposition mit Umweltbotschaften führte zu einer erhöhten Präferenz für nachhaltige Produkte.

• Eine auffällige Erinnerung an ökologische Liefer- und Verpackungsoptionen erhöhte die Auswahl dieser Optionen.

Selbstbindung Formulierung von konkreten Absichten und dadurch psychologische Bindung von Verbraucher:innen an ihre eigenen guten Vorsätze • Die selbst formulierte Absicht, sich nachhaltiger zu halten, konnte nachweislich ebendiese Wirkung entfalten.

 

Kommunikationsansatz Quellen
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